Linkssein als emotionales Placebo

(Adam Curtis über die Gegenkultur der 60er und ihren Einfluss auf die Emotionalisierung der Fernsehnachrichten.)

Vor einigen Wochen bin ich auf einem Festival in Zürich bei einem Auftritt von Raphael Fellmer. Raphael Fellmer lebt, wie einer wachsenden Anzahl von Zeitungsartikeln und Fernsehbeiträgen zu entnehmen ist, ohne Geld. Die Wohnung für seine Tochter, seine Frau und ihn stellt eine evangelische Friedensinitiative und das Essen sind „abgelaufene“ Lebensmittel einer Berliner Bio-Markt-Kette. Mit der gleichen Kette arbeitet er auch an der generellen Eindämmung von Lebensmittelverschwendung in der Stadt. „Mein Name ist Raphael“ sagt er mit aufgerissenen Augen und einem zu breiten Grinsen, „und ich bin seit 29 Jahren Gast auf diesem wunderschönen Planeten Erde“ Dann erzählt er uns, wie schlimm es um unseren wunderschönen Planeten steht. Nach jedem neuen Datenpunkt gibt es ein hörbares Luftschnappen aus dem Publikum. Treibhausgase! –keuch- Wasserverbrauch! -keuch- Hungersnöte! -keuch- Die Zahlen sind alle korrekt (bis auf den Anteil der Fleischproduktion am Treibhausgasausstoß, da ist seine Zahl, 53%, eindeutige Veganerpropaganda), ich frage mich nur wie diese ganzen linksalternativen Menschen noch nie davon gehört haben können.

Trotz oder gerade wegen seines Engagements hat Fellmer ein auffälliges Desinteresse an Politik. Die internationalen Klimaverhandlungen gehen „am Thema vorbei“, denn da sitzen ja nur „Anzugträger“ in „fünf Sterne Hotels“ und „klimatisierten Konferenzräumen“. Dass diese Veranstaltungen ein nutzloser Wanderzirkus sind, ist ja seit Kopenhagen jedem klar, aber ich glaube, dass das weniger mit der Bekleidung und Unterbringung der Teilnehmer zu tun hat, als mit den Inhalten, die dort verhandelt werden. Aber eine detaillierte inhaltliche Kritik ist natürlich zweitranging, denn eigentlich müssen wir ja alle nur „in unser Herz schauen, dann sehen wir schon was richtig ist“. Wenn wir nur den „Winken des Schicksals folgen“ und unsere „kapitalistische Prägung“ ablegen, so wie er das auf seiner romantischen, geldlosen Abenteuerreise durch Lateinamerika getan hat, dann wird alles gut. Er jedenfalls will auf keinen Fall zurück in die „Geldwelt“. „Nur weil du Geld nicht mehr mit den Fingern anfasst, heißt das nicht, dass du nicht mehr in der ‚Geldwelt‘ lebst“ will ich ihm entgegnen, aber noch halte ich mich zurück. „Ich hoffe, dass wir als Spezie (sic!) das Geldzeitalter hinter uns lassen. Ich will aber auch keine Welt des Tauschhandels. Ich möchte eine Welt des freien Gebens und Nehmens.“ Na das kann ja heiter werden.

Schließlich geht er zu Fragen aus dem Publikum über. Ich habe genug Ärger aufgestaut, um mich zu Wort zu melden, auch wenn ich weiß, dass ich in diesem Raum nur verlieren kann. Die allermeisten sind gekommen um sich hier ihr emotionales Placebo abzuholen, sie fühlen sich „inspiriert“ und „angesteckt“, freuen sich, dass „der Einzelne“ so viel bewirken kann, und wie viel da jetzt „freiwillig“ und „von unten“ entsteht.

„Hast du denn das Gefühl, angesichts der Größe und Schwere der globalen Probleme, dass individuelle Aktion ausreicht? Müsste wir nicht über politischen oder strukturellen Wandel reden?“ – „Aber das ist doch nutzlos in so großen politischen Institutionen rumzumachen. Wenn ich etwas tue, dann wirkt sich das ja auf alle anderen aus, dann sehen die anderen doch, dass es da einen neuen Weg gibt, und immer mehr machen mit.“ – „Wir befinden uns ja, wie du sagst, im freien Fall und der Boden ist sehr viel näher, als den meisten Menschen bewusst ist. Diese Strategie von individuellen Handlungen, die dann abstrahlen, geht denn das schnell genug? Was ist denn mit Ländern wie China und Indien, die riesige Umwälzungen unternehmen, um überhaupt erst den Lebensstandard zu erreichen, von dem du dich gerade verabschiedest?“ – „Ich kann mir doch nicht Sorgen machen, was der Chinese oder der Inder machen. Wenn wir eine kritische Masse erreichen und es bei uns Wirtschaftsschrumpfung gibt, dann sehen die Chinesen vielleicht, dass da in Europa etwas neues entsteht, dass wir hier in Frieden und im Einklang mit der Natur leben, und schwenken auch drauf ein. Wie Gandhi sagt, ich muss selbst der Wandel sein, den ich in der Welt sehen will.“

Klar, wenn China erst mal von Raphael Fellmers veganer Ökocommunity erfährt, überlegen die sich das natürlich zwei Mal mit dem Wirtschaftswachstum. So radikal und konsequent seine Entscheidungen auch sind (demnächst zieht er mit seiner und zwei befreundeten Familien auf einen Selbstversorgerhof in Spanien), es bleiben Lifestyle-Entscheidungen. Und wenn wir gesellschaftlichen Wandel abhängig machen von individuellen, freiwilligen Lifestyle-Entscheidungen, dann machen wir uns abhängig davon, in welcher Rolle sich das Individuum gerade gefällt, von seinen Launen und Selbstwidersprüchen. Und so lange wir das tun, wird sich nichts ändern. Abgesehen davon ist Subsistenzwirtschaft kein Modell für die Zukunft. Subsistenzwirtschaft gibt es seit tausenden von Jahren, und sie bedeutet für die meisten, die sie ausüben, die nicht die Privilegien und das kulturelle Kapital des modernen europäischen Mannes genießen, nicht die Erfüllung eines ganzheitlichen Traums, sondern Leid und Entbehrung.

Zum Abschluss des Festivals (das übrigens sehr vielfältig war und sich nicht auf das, was ich hier schreibe, reduzieren lässt) spielt die Band „Früchte des Zorns“ aus Berlin. Angeblich geht es um Politik, aber eigentlich geht es so gut wie nur um Befindlichkeit.„Euer Erwachsensein hat mir nichts zu bieten“, „Wir haben Sehnsucht nach den großen Gefühlen, die an und auszuschalten sind“. In einem Song beschreibt der Sänger die „leeren Gesichter in der U-Bahn“ und die Menschen dahinter, die „immer nur schlucken“. Er führt weiter aus, dass man sich im Alltag so oft eine Maske aufsetzen muss. Lustig, denn genau das tue ich gerade. Mein Gesicht ist eine Maske, es liegt als bewegungslose Ansammlung von Muskeln auf meinem Schädel, weil ich nicht zeigen will, wie unwohl ich mich fühle. Unwohl, angesichts der bodenlosen Arroganz, das Leben von Menschen anhand ihres Gesichtsausdrucks in der U-Bahn zu beurteilen. Vielleicht war es früh am Morgen. Oder er hat sie mit seiner Musik genervt. Das Problem ist nicht nur, dass diese Leute komplexe politische Analyse hintanstellen zugunsten eines gefühlsduseligen Öko-queer-anarcho-Hippietums, sondern auch, dass sie von den „Herzen der Menschen“, von denen sie die die ganze Zeit sprechen, keine Ahnung haben, weil sie sich in ihrem emotionalen Narzissmus nicht vorstellen können, dass es Menschen gibt, die tief in ihrem Inneren eben nicht sind wie sie.

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2 Antworten zu Linkssein als emotionales Placebo

  1. Erik Tiden schreibt:

    Sehr schöner Schlusssatz. Trifft auf einen sehr großen Teil der Menschheit zu – vielleicht sogar auf mich, oder Dich.

  2. Matthias Steingass schreibt:

    Hi, komme gerade via http://syntheticedifice.wordpress.com/ hier her (wegen des Beschleunigungsmanifests). Ich betreibe ein Blog das sich kritisch mit Buddhismus befasst. Ich beobachte schon seit längerem eine Schnittmenge aus Esoterikern und Linken. Ehemalige Linke, gerne auch Hardcore (Polpot, Stalin etc.), die heute Esoterikheinis zu Füssen sitzen einerseits, und andererseits Esoterikfreaks die schon vor Jahrzehnten auf Leute wie Bagwahn reingefallen sind und die heute Marxsimus für sich entdecken. Ich habe bisher nicht richtig verstanden wie das zusammengeht. Beim lesen deines Artikels wird es mir aber nun klarer: Der gemeinsame Nenner ist das emotionale Placebo. Faktisch wirkt sich das in beiden Fällen, den Linken und den Buddhisten, als Rückzug ins Private aus, der als tief gehender Wandel deklariert wird – was er tatsächlich auch sein mag von Fall zu Fall aber ohne Wirkung im größeren Maßstab. Ein Bewusstsein der Mechanismen die uns zu dem machen was wir sind, gibt es in beiden Fällen aber nicht. Obwohl in beiden Fällen, bei Linken wie bei Buddhisten, gesagt werden kann, daß ihre ursprüngliche Motivation gerade das ist: die Frage danach, was uns zu dem macht was wir sind.

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