Von New York kann jeder eine Geschichte erzählen. Das scharfe Licht in den Betonschluchten, das Flirren der Kanäle an den Fassaden, das glänzende Grau und die mehr-als-farbigen Farben, die Bässe aus den Autos und aus den Höfen und aus den jederzeit auf- und abbaubaren Ständen, die unaufhaltsame Konfrontation von Geschmacklosigkeit und Definition von Geschmack, endlose Sequenzen aus überteuertem Mittelmaß und überteuertem Übermaß und überteuertem Luxus, die beinahe kostenlosen und unbezahlbaren Szenen dieses einzigartigen Welttheaters, man selbst in der Mitte von alldem, überwältigt und überfordert und manchmal sogar, trotz allem, gelangweilt; die amerikanische Flagge drohend versenkt in gebaute Anmaßung und perfide kuratierte Erinnerungsreligion, die Langsamkeit des Auges und die Geschwindigkeit von allem andern, die wilden, die ordnungssprengenden Gesprächsfetzen aus rhythmisch organisiertem Größenwahn, das Aneinanderrattern von Menschen und Dingen und Teilen von Menschen und Teilen von Dingen und Teilen von Dingen von Menschen – der Schmutz & die Juwelen.
Jeder kann eine Geschichte erzählen von New York. Vom Planeten London sagte Henry James um 1900, was wir heute auf andere Weise von dieser Stadt sagen müssen: New York wird nicht von uns geschrieben und erzählt – New York schreibt sich selbst und wir sind nur da, um den Füller zu halten oder irgendwo zwischen Scham und Verzückung unsere Fingerchen auf die Tasten baumeln zu lassen. Das bin nicht ich, der da mein Herz schlagen lässt, sagte Merleau-Ponty. New York ist der Planet und wir sind seine Trabanten.
Genauso wenig wie man diese Stadt schreiben kann, ohne dass sie sich selbst schon hundertfach geschrieben hätte – genauso wenig kann man in ihr schreiben, ohne das Gefühl zu haben, die Stadt lache einen, und nicht einmal hinter dem Rücken, permanent aus. Roger Willemsen schrieb auf seiner Deutschlandreise: „Ich sitze in einer Gaststätte in Moers und warte auf Sätze über Moers. Das dauert.“ Das Gegenteil gilt von der Stadt New York, die nicht auf ihre Schriftsteller wartet, und wir können unmöglich auf ihre Sätze warten. Sitzen kann man in New York eigentlich auch nicht. Zumindest nicht still und aufrecht. Entweder man rennt. Oder man taumelt. Oder man liegt flach. Oder man sitzt gestaucht in der Ubahn und pennt kurz weg oder hört, wie eine afro-amerikanische Touristin aus den Südstaaten den Zug gerade so sehr mag, weil sie Luft so sehr mag: You know what, I like this train – because I like air. I’m sur-rry… Weiterlesen